Verlagerung von Esssucht zur Kontrollsucht ?#

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    • Verlagerung von Esssucht zur Kontrollsucht ?#

      Hallo zusammen,

      möglicherweise ist die Frage ziemlich provokant, aber ich stelle sie nicht, damit ich provoziere, sondern weil es mich wirklich interessiert.

      So oft lese ich, dass nach der OP ganz rigide Ernährungspläne eingehalten werden.
      Grammgenau wird optimiert und es dürfen ja kein Kohlehydrat zuviel.
      Die Kalorien werden notiert, optimiert, interpretiert in Relation zum Eiweiß gesetzt, es wird nur noch nach biologischer Wertigkeit gegessen.

      Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich so leben kann.
      Ich (für mich gesprochen) war 30 Jahre lang schlank, und habe mein Gewicht nicht durch Kontrolle gehalten, sondern weil mein Gefühl dafür gestimmt hat. Mein Ziel ist es, ein normales Essverhalten zurück zu bekommen, und das Rechnen und Optimieren ist für mich das glatte Gegenteil.

      Jetzt sind wir hier alle ja irgendwie essgeschädigt.
      Wie wahrscheinlich ist es, das alles so strikt durchzuhalten? Fällt man hier von einen Extrem ins andere?
      Es wird immer gesagt, der Kopf wird nicht mit operiert.
      Wir haben das Verhalten teilweise ein ganzes Leben nicht ändern können, warum klappt das dann hinterher? Und wie lang? Mit welchen Folgen?
      Ist das eine ARt des Hyperfokussierens?

      Ich bitte hier ehrlich gesagt auch ganz speziell um Meinungen von Lanzeitoperierten, die DEUTLICH aus der Honeymoonphase draußen sind.

      Nochmal, ich möchte niemandem zu nahe treten.
      .... und freundlich grüßt die Azalee
      OP-Termin am 09.06.2020 Mini-Bypass (Omega-Loop)
      BMI 40,1 Beginn Eiweißphase
      BMI 20,7 aktuell
    • Ich bin wahrscheinlich noch in der Honeymoonphase, fünf Monate nach OP.
      Aber die gleichen Gedanken habe ich mir auch gemacht. Für mich persönlich habe ich zu Beginn entschieden, dass ich keine Kalorien zählen werden und so habe ich es auch gemacht. Bisher bin ich sehr gut damit gefahren. Einzig auf Eiweiß achte ich. Aber verbieten tu ich mir auch nichts. Klar schaue ich, dass ich KH's weniger esse und mehr Eiweiß, aber das ergibt sich schon daraus, dass man eh wenig isst und Prioritäten setzen muss.
      Ich könnte mir so wie du kein Leben vorstellen, wenn ich alles his ins kleinste Tracke.
    • azalee schrieb:

      Jetzt sind wir hier alle ja irgendwie essgeschädigt.
      Nein, das sind "wir" nicht. Es gibt viele Gründe wie es zum Übergewicht kam.

      Ich denke, dass diese "Ernährungsüberwachung" viel mit Angst zu tun hat. Und es ist meiner Meinung nach auch ein ganz großer Unterschied ob jemandem eine Fehlernährung anerzogen wurde und man von klein auf immer dick war oder ob jemand als Kind + Jugendliche vllt. Erwachsene schlank war und im Prinzip gesunde Ernährung kennt. Es ist ein Unterschied ob man mal sportlich war oder nicht. Je nachdem ist die Angst vor dem zunehmen größer oder weniger und der Kontrollwunsch mehr oder weniger ausgeprägt. Ich esse, jetzt, Jahre nach der OP 5 Mahlzeiten am Tag und mir geht es damit bestens. Abwiegen tu ich mich kontrollweise vllt einmal im Monat.
      :guckstdu:
      Größe: 1,71m
      Höchstgewicht: 132kg (BMI: 46)
      OP Gewicht: 124kg (BMI: 43)
      aktuell: 62,3kg (BMI: 21,7)
    • Ich bin jetzt vier Jahre operiert und muss wieder kämpfen. Ich behaupte nach wie vor das Extreme ist keine dauerhafte Lösung. Irgendwann will man auch wieder ein normales Leben führen. Mein Fokus liegt lange nicht mehr auf der op. Und ich will mich auch nicht ständig mit essen und co beschäftigen sondern ein ganz normales Leben leben.
    • Ich bin mittlerweile knapp 5 Jahre Post-Op. Auch ich habe wieder ein paar Kilos draufgelegt, aber alles noch im Rahmen.
      Leider beschäftigt mich "Essen" immer noch viel zu sehr, aber ich sehe ein Licht am Ende des Tunnels.

      Ich kann mittlerweile die Reißleine ziehen und verfalle nicht gleich wieder in komplette Extreme. Könnte aber durchaus noch viel mehr Lockerheit
      vertragen.

      Was ich nicht mehr mache und zwar seit Jahren: ich zähle keine Kalorien mehr, ich schreibe nicht mehr auf.
      Das will und werde ich so beibehalten, sonst geht es bei mir ganz schnell wieder in eine extreme Essstörung. Keinen Bock drauf.

      Ich versuche, so gut es mein Kopf und meine Seele erlauben, ein gesundes Maß zu leben. Sprich: ich verbiete mit
      keine einzelnen Nahrungsgruppen wie zum Beispiel: Fett, Kohlehydrate, Zucker oder sonstiges.
      Ich achte auf Ausgewogenheit. Da wo zum Beispiel Zucker notwendig ist, wie Hefeteig gehen lassen, da setzte ich auch Zucker ein.
      Ansonsten nehme ich Birkenzucker und für Tees, Kaffee und Co. brauche ich seit Jahren schon keine extra Süße mehr.

      Ich achte darauf, das ich nicht wieder ein Kohlenhydratjunkie werde, aber ich reduziere deswegen nicht meine Kohlenhydrate auf ein Minimum.
      Das ist alles nichts für mich.

      Ich schaue einfach darauf, das ich möglichst viel Farbe auf meinem Teller habe. Grünes Gemüse, rotes Gemüse, gelbes Obst. Immer ein Stück Eiweiß dabei und meine Sättigungsbeilage.

      Aber ja, es ist ganz leicht im Rausch der Abnahme, die Dinge noch etwas mehr optimieren zu wollen. Und wenn man da nicht gefestigt ist, kann man leicht in den
      nächsten Kontrollwahn verfallen.

      Aber hier ist per se nicht jeder "irgendwie Essgestört". Diese Schublade finde ich eindeutig zu tief.
      Äh, das war ich nicht - diese komische Signatur
    • Dann antworte ich auch - als eine, die es NICHT für möglich hält, das dauerhaft durchzuhalten. Ich habe das auch nie so gemacht. MIR persönlich war nach der OP wichtig, dass ich

      1. meine Nahrung hauptsächlich aus Eiweiss bestreite, und das ganz ohne abzuwiegen, zu rechnen oder zu zählen, einfach nur eiweissreiche Lebensmittel vorziehen
      2. NIE über den tatsächlichen Hunger hinaus esse - und wenn es nur ein einziger Teelöffel voll ist, den ich noch da habe, dann wird er liegen gelassen
      3. diese "Sättigungsbeilagen" (wie Nudeln, Reis, und vor allem Brot) weitestgehend aus meiner Ernährung entferne
      4. möglichst zu jeder Mahlzeit etwas Gemüse esse
      5. keine gesüßten Getränke trinke und auch sonst "sündige" Lebensmittel nicht als normale Ernährung, sondern als "ausnahmsweise" betrachte

      Bisher bin ich damit gut gefahren. Ich hab zwar auch die 10 % Zunahme (die meiner MEinung nach fast jeder irgendwann hat), aber sonst halte ich es jetzt nach 7,5 Jahren noch immer so ziemlich. Klar, es gibt mehr Phasen, in denen ich mal nicht auf alle achte, klar gibt es mehr Sünden, aber ich komme auch relativ schnell wieder in die Spur, wenn ich mal raus war. Bisher immer mit Erfolg.

      Aber ich wollte auch nie "schlank" sein. Ich wollte nur gesund sein. Und ein Gewicht erreichen, mit dem ich den Rest meines Lebens klar komme. Deshalb sehe ich es auch nicht so verbissen. Mir ist Lebensqualität in Form von "Genuss" mit Mass und Ziel einfach wichtiger, als schlank zu sein. Schlank sein verbinde ich aber auch nicht mit "erfolgreich, gutaussehend, glücklich" sondern einfach mit "schlanke Figur haben". Und deswegen ist es zwar nett, für mich aber nicht zwingend erstrebenswert. Und genau da liegt glaube ich der Fokus. Diejenigen, die so ganz strikt leben, haben entweder Angst das Ziel nicht zu erreichen oder wieder zuzunehmen und damit ihr Leben zu ruinieren, oder haben einfach eine andere Leidenschaft entdeckt, die sich befriedigt. Ich finde um Ernährung wird momentan sowieso ein unglaublicher Bohei gemacht, was genauso "schlecht" ist, wie die falsche Ernährung. Essen sollte einfach nur normaler Bestandteil des Lebens sein, kein Exrem. Aber das gleiche denke ich auch über Politik, Religion, Schönheitsideale, exzessiven Sport. Alles was zu extrem ist, finde ICH (für mich ganz persönlich) schädlich !
      Liebe Grüße von Gaugele


      Erstgespräch 19.07.2012 mit 186 kg >>> Schlauchi-OP 20.02.2013 mit 169,5 kg >>> BDS 23.01.2015 mit 90 kg
      Mein OP-Bericht Mein OP Bericht Schlauchi am 20.02.2013
    • ja, ich finde, hier stehen viele tolle Postings. Ich danke dafür.
      Hoffentlich kommen noch welche .... und irgendwann mein eigenes
      .... und freundlich grüßt die Azalee
      OP-Termin am 09.06.2020 Mini-Bypass (Omega-Loop)
      BMI 40,1 Beginn Eiweißphase
      BMI 20,7 aktuell
    • StraigthOn schrieb:

      Aber hier ist per se nicht jeder "irgendwie Essgestört". Diese Schublade finde ich eindeutig zu tief.
      Essgeschädigt, nicht essgestört. Das ist ein großer Unterschied.


      gaugele schrieb:

      Essen sollte einfach nur normaler Bestandteil des Lebens sein, kein Exrem.
      Sollte - aber das wird bei der Mehrheit nicht mehr möglich sein, leider.
      Grüße von Tanni
      RNY-Magenbypass am 24.06.20
      Mein Bypass-Tagebuch
    • Sehe ich nicht so. Vielleicht sind hier zu viele Leute mit Extrem-Erfahrungen.
      Ich denke nach wie vor - und meine OP ist mehr als fünf Jahre her - dass diese OP eine extreme Chance bietet.
      Die man dann natürlich auch nutzen muss bzw. sollte.

      Viele Grüße,
      Lorenzia

      .
      Nichts schmeckt so gut, wie sich Schlanksein anfühlt...
      Und das kann ich bestätigen: Traumgewicht erreicht! Fühlt sich großartig an!


      ... Nun nicht mehr so aktiv im Forum... Aber sicherlich noch ab und an dabei...
    • Ich glaube, ich kann mich hier einreihen. Meine Erst-OP wird im September 20 Jahre !! Wie Einige hier im Forum wissen, hatte ich im November letzten Jahres einen Rückumbau meines Bypasses, so dass ich keine Krücke mehr habe. Alle - auch ich selbst- machten mir wenig Hoffnung, dass ich mein Gewicht halte. Ich möchte erwähnen, dass ich vor dem Rückumbau mein Gewicht jahrelang gehalten hatte ... sowohl mit Magenband, wie auch mit dem Bypass. Interessant ist nur, dass ich 2005, wie mein Magenband ausgetauscht wurde, weil es nicht mehr funktionierte, in kürzester Zeit 16 kg zugenommen habe. Das war 5 Jahre nach der Erst-OP, jetzt sind es fast 20 Jahre. Seit meiner Bypassauflösung (vor 6 Monaten) habe ich regelmäßige Kontrollen im Adipositaszentrum und einmal pro Quartal bei meiner Diabetologin (DMP-Programm). Heute war ich bei meiner Diabetologin und gestern in meinem AZ. Meine Auswertung im AZ ist super. Alles im grünen Bereich. Ich habe meinen Fettanteil weiter reduziert und die Muskelmasse aufgebaut. Die bisherigen Werte vom Labor sind ebenfalls gut, bis auf die Leberwerte, was aber mit der Einnahme meiner Schmerzmittel zusammenhängt.
      Ich kann also sagen, dass ich völlig "normal" lebe. Ich esse mengenmäßig wie mit Bypass, esse regelmäßig kleinere Mengen an Süßigkeiten ... also ganz normal. Ich zähle weder Kalorien noch Eiweiß. Ich ernähre mich ausgewogen und mache weiterhin sportliche Aktivitäten. Ich wünsche mir, dass es so bleibt und ich in ein paar Jahren sagen kann: Es klappt auch ohne Krücke - ich habe es gelernt, meine Krücke richtig zu nutzen und komme jetzt ohne Krücke klar. +/- 5 Kilo würde ich "tolerieren", da diese Gewichtsschwankungen auch Menschen haben, die nichts mit Adipositas zu tun haben bzw. hatten. Was ich allerdings noch benötige ist die Waage. Diese benutze ich leider noch zu oft. Die Angst vor einer erneuten Zunahme "zwingt" mich zu diesem Verhalten. Erwähnen möchte ich noch, dass ich als chronische Schmerzpatientin seit Jahren AD nehme und seit dem KH-Aufenthalt vom Rückumbau 1 x täglich Insulin spritze.
    • Wie schon einige Vorredner geschrieben haben, gibt es viele unterschiedliche Menschen, die aus vielen unterschiedlichen Gründen dick geworden sind und es gibt sehr viele unterschiedliche Gründe, sich operieren zu lassen.
      Schon lange vor der OP hatte ich meine Esssucht im Griff, konnte aber - obwohl ich in anderer Hinsicht ein sehr kontrollierter Mensch bin - mein Essverhalten nicht ohne Hilfe in gesunde Bahnen lenken. Mein Pouch macht das möglich.

      Im Vorfeld der OP habe ich mir viele Gedanken gemacht, wie ich zukünftig leben und auch essen möchte. Natürlich nicht so wie vorher, das hat ja einfach mal nicht gut funktioniert. Ich habe mein Leben bewusst umgestellt und mein Essverhalten bewusst kontrolliert. Hat funktioniert, weil ich wusste, irgendwann hilft Pouch mit, wenn ich allein keine Kondition mehr habe.
      Kontrollsucht? Nö! Notwendige Kontrollmöglichkeiten ausschöpfen, würde ich eher dazu sagen.

      Ich habe mich schon vor der OP dazu entschieden, mein Leben sehr rigoros umzustellen. Ich verzichte vollständig auf Süßig- und Salzigkeiten und auch komplett auf Alkohol und Fastfood. Das war der Plan und hat funktioniert. Nachdem ich meinem Körper 35 Jahre übelst geschadet habe, ist er jetzt die nächsten 35 Jahre dran, nur noch genau das zu bekommen, was er braucht. Jetzt gönne ich nicht mir etwas, sondern ihm.

      Und nach mehr als einem Jahr Verzicht, ist es eigentlich gar keiner mehr, sondern normal. Neue Pfade eintreten ist nicht leicht, aber möglich.
      Kontrollsucht? Nö! Kontrolle über gesunde und ausreichende Nahrung und Portionsgrößen? Ja. Die habe ich.
      Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem ein Schaf sein.
      Wer sagt´s? Der Albert sagt´s.
      In diesem Sinne Mädels und Jungs.............Go for it and keep it up.
    • Dazu kann ich auch etwas sagen, denn eine Honeymoonphase hatte ich (leider?) nie.

      Es gab also von Anfang an für mich nur 2 Optionen

      a) resignieren und alles bleibt wie es ist (inkl. Adipositas)

      b) kämpfen und es mit "Kontrolle" doch noch zu versuchen

      Ich habe mich dann für b) entschieden und mein Ziel auch erreicht.

      Ich schreibe auch heute (über 6 Jahre post-OP) weiterhin Ernährungstagebuch, aber als "Kontrollzwang" würde ich das ganz und gar nicht bezeichnen, die Formulierung finde ich viel zu negativ behaftet.

      Ich sehe es eher als "Gewichtsmanagement", so behalte ich es zumindest grob im Blick, denn mein Gefühl und mein Pouch helfen mir nun mal nicht dabei. Es ist für mich auch nicht lästig, sondern ein ganz normaler Bestandteil meines neuen (und viel besseren) Lebens.

      Ich freue mich für jeden, der das auch ohne diese Maßnahmen hinbekommt - ich gehöre nicht dazu und musste einen für mich umsetzbaren Weg finden, d.h. Ernährungstagebuch und regelmäßiges Wiegen. Ich denke, das Geheimnis liegt darin, es anzunehmen und nicht mit seinem Schicksal zu hadern. Sonst bekommt z.B. das Tagebuch sehr schnell ein negatives Image und das Unterbewusstsein wird irgendwann rebellieren.

      Für mich ist klar, dass ich das bis an mein Lebensende machen werde, aber da ich die Tatsache nicht ändern kann, habe ich eben meine Einstellung dazu geändert: ich mache das, weil ich WILL und nicht weil ich MUSS.

      Schönen Sonn- und Muttertag allerseits!

      Chi
      +++