Fressanfälle und Schamgefühl

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    • Fressanfälle und Schamgefühl

      Die letzte Zeit war nicht leicht für mich: Diagnose Schilddrüsenkrebs; operative Entfernung der Schilddrüse; hormonmangelbedingte Schilddrüsenunterfunktion in Vorbereitung auf die nun bald beginnende Radiojodtherapie und daraus resultierende Unleidlichkeit sowie Gewichtszunahme trotz weiterhin strenger Diät. Nachdem ich vor einer Woche feststellen musste, dass ich trotz disziplinierten Essens 2 kg zugenommen hatte, überkam mich großer Frust. Ich stellte mir die Frage: "Wozu Diät halten, wenn Du im Moment ohnehin nichts gegen die Gewichtszunahme ausrichten kannst?". Also erlaubte ich mir, nach Herzenslust zu essen. Danach habe ich mich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder rundherum zufrieden gefühlt. Ich war derart erfüllt, dass ich am nächsten Tag gleich noch mehr aß. Seit drei Tagen veranstalte ich nun regelrechte Gelage. Dadurch geht es mir inzwischen jedoch gar nicht mehr gut. Ich bemerke, wie sich längst überwunden geglaubte Suchtmechanismen ganz allmählich wieder in mein Leben schleichen: Jeden Abend verspreche ich mir, ab dem kommenden Tag wieder diszipliniert zu sein. Am nächsten Morgen stopfe ich mich allerdings erneut mit Pfannkuchen, Erdnussbutter und Schokolade voll. Abends habe ich dann Bauchweh, da mein Magen derartige Völlereien längst nicht mehr gewöhnt ist. Trotzdem fürchte ich mich davor, am nächsten Morgen wieder zuzuschlagen. Ich kann mir gerade selbst nicht mehr vertrauen. Habt Ihr Erfahrungen mit diesem Teufelskreis und könnt Ihr mir sagen, wie Ihr ihn das letzte Mal unterbrochen habt?
    • Lenchen_76 schrieb:

      dass ich trotz disziplinierten Essens 2 kg zugenommen hatte, überkam mich großer Frust.
      oje, kommt mir so bekannt vor...
      zum Glück bin ich aktuell wieder ganz ok eingestellt und das Gewicht lässt sich nach unten modelieren.

      Lenchen_76 schrieb:

      Seit drei Tagen veranstalte ich nun regelrechte Gelage. Dadurch geht es mir inzwischen jedoch gar nicht mehr gut. Ich bemerke, wie sich längst überwunden geglaubte Suchtmechanismen ganz allmählich wieder in mein Leben schleichen: Jeden Abend verspreche ich mir, ab dem kommenden Tag wieder diszipliniert zu sein
      dejavu...Du bist nicht allein, ich kann Dich komplett nachempfinden..

      Lenchen_76 schrieb:

      Habt Ihr Erfahrungen mit diesem Teufelskreis und könnt Ihr mir sagen, wie Ihr ihn das letzte Mal unterbrochen habt?
      ja, und wie..
      ich bin auch ein emotional Esser, dass heisst, dass bei Problemen die ich selbst nichts steuern bzw. kontrolieren kann, scheine ich den Kontrollverlust dann auch aufs Essen zu projizieren.

      meinen letzten Kreislauf unterbrach ich mit knallharten Entzug; kein Mehl, kein Zucker...
      danach kam "zum Glück" noch eine sehr erschreckende Erfahrung dazu, die mir eh erst einmal für 3 Tage den Magen zuschnur, sodass ich die dadurch abgenommenen 2 Kilos als Motivation nahm, nicht mehr in dem Teufelskreis reinzurutschen.

      so wie ich es aber kenne, ist es ein Kamf jeden Tag aufs neue..
      wie eine Achterbahn: mal geht es gut und dann krach - bricht alles zusammen, was zusammen brechen kann.

      vielleicht hilft Dir die Vorstellung, dass nach der OP alles besser wird, oder zumindest besser werden kann.
    • Nach der OP ist vor der OP

      Man hat, wenn man Glück hat eine gewisse "honeymoonzeit, wo die OP ein Selbstläufer ist.
      Etwa zwei Jahre nach der OP, sieht es genauso aus, wie ohne OP. Man hat die gleichen Probleme, nur eine andere Ausgangslage.
    • Die Schilddrüsenoperation liegt bereits hinter mir und ich bin durchaus zuversichtlich, dass ich irgendwann nach der Radiojodtherapie richtig mit L-Thyroxin, Calcium und Vitamin D3 eingestellt sein werde (wobei in meinem Fall sogar eine leichte Überfunktion anzustreben sein wird, um eine Rückkehr des Krebses zu vermeiden). Was mich derzeit bedrückt ist jedoch nicht (nur) das hormonelle Ungleichgewicht, sondern der Umstand, dass dieses mir deutlich vor Augen geführt hat, wie schnell und haltlos ich in alte Verhaltensmuster zurückfallen kann. Nach 1,5 Jahren erfolgreicher Diät und über 80 kg Gewichtsverlust hätte ich mich doch für weitaus gefestigter gehalten.
    • Ich habe das auch alles erst kürzlich hinter mich gebracht mit kompletter Entfernung der SD.
      Auch kenne ich diese Fressanfälle nur zu gut, auch das hatte ich die letzten Wochen. Mir wurde gesagt, solange ich nicht richtig auf die Hormone eingestellt bin, weiss der Körper so gar nichts mit mir anzufangen. Mittlerweile habe ich das wirklich wieder gut im Griff und auch die Fresserei habe ich wieder eingestellt.

      Gehe ich recht in der Annahme, dass du jetzt gerade im Moment gar keine Hormone nimmst, bis die Radiojodtherapie erfolgt ist? Schätzungsweise wirst du ja auch hinterher erst eingestellt. Meines Wissens nach, hungert man jetzt den Körper so aus, dass die Zellen direkt das Radiojod dann anspringen.
      Dann fällst du in die 5% Quote. Meine Bettnachbarin musste das leider auch mitmachen.

      Was diese Fressatacken betrifft, kann ich dir nur raten, begleitend eine Verhaltenstherapie zu machen. Es schadet bestimmt nicht und stabilisiert dich ein wenig. Mir bringt die Therapie sehr viel und ich bin froh, sie trotz allem oder gerade deswegen zu machen. Mir ist heute vieles klarer von meinem Verhalten und ich kann es leichter steuern.

      Hilfreich ist mit Sicherheit auch, wenn du dich einer Selbsthilfegruppe anschliesst, in der du dich mit anderen Betroffenen austauschen kannst.

      Ich bin lieber ein ehrlicher Arsch, als verlogen und nett.
      ... und nein, ich habe nicht auf der Boxerzeitung geschlafen. Ich bin immer so!
    • Liebes Lenchen,
      ich wünsche alles, alles Gute und hoffentlich kann die Einstellung mit Hormonen bald erfolgen, damit Du wieder auf Deinen "neuen/alten" Weg zurückfinden kannst. Ich wünsch es Dir von Herzen - lg wanda.

      (Es ist sicher mit der Schilddrüsenop noch VIIIIIIIIEEEEEEEEEL schwieriger!!!
      Aber diesen Kreislauf .. Diät bis "richtig-super-abgenommen" und dann Freßgelage-schlechtes Gewissen ... oooooooooooooooooh, wie gut ich mich an diese Phasen erinnern kann! - seufz - das ist es, was mir Sorge macht für die Zukunft .. Bin ich diesmal stärker, als all´die Jahre zuvor? Hilft mir mein Mägelchen auch weiterhin so brav?? ..Ich weiß es nicht, halte Euch aber auf dem Lfd.)
      LG wanda
      Op 03/11 - Größe 174 cm - Maximalgewicht 143 kg - Abnahme über 14 Monate ziemlich konstant.
      : :kaffee10: : Ziel- Lauf - Wunschgewicht erreicht / Halten seit 06/12 - mit "Schwankungen".

      "Humor ist der Knopf, der verhindert, daß der Kragen platzt". Ringelnatz
    • Das mit den alten Mustern kann auch nach eine AC-Operation kommen, die du ja nicht hattest. Aber ich merke bei mir auch in emotionalen Ausnahmesituationen ein ähnliches entgleiten. Hatte ich das letzte Mal vor ca. 4 Wochen als ich die Kostenzusage bekam. Natürlich freute ich mich - war aber trotzdem vollkommen perplex. Ich stopfte unglaublich viel Schokolade in mich rein, was dazu führte, dass ich mich ca. 36 Stunden unwohl fühlte. Der Ausstieg kam dann per Kopf. Ganz bewußt bin ich umgestiegen auf Quark mit Früchten und etwas Zucker. So konnte ich mich wieder neutralisieren.
      Bin mir sicher, das das nichts ist gegen das, was du momentan emotional wegstecken musst. Ich bewundere sowieso immer wieder deine Tapferkeit. Versuche dir einen Termin für einen "Ausstieg" zu setzen. Der Nächste Klinikaufenthalt ist aus meiner Sicht noch zu dicht dran - vielleicht danach??? Und dann weißt du ja, das ich psychologische Betreuung immer wieder wichtig finde. Vielleicht auch eine Option.

      Simone
    • @immozuhause ... Du hast "es" wie immer super ausgedrückt und das Wesentliche auf den Punkt gebracht .... !!! lg - wanda
      --seufz-- wünsche manchmal, Menschen wie Du könnten mir auf Arbeit helfen die richtigen Worte zu finden ---
      LG wanda
      Op 03/11 - Größe 174 cm - Maximalgewicht 143 kg - Abnahme über 14 Monate ziemlich konstant.
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      "Humor ist der Knopf, der verhindert, daß der Kragen platzt". Ringelnatz
    • Vielen herzlichen Dank für Euer Interesse und Euren Zuspruch!

      Zu den somatischen Aspekten:

      Es verhält sich tatsächlich so, dass ich bis zur Radiojodtherapie (welche dankenswerter Weise am kommenden Montag beginnt) kein L-Thyroxin einnehmen darf. Vor dem Beginn einer Radiojodtherapie muss man auf die Einnahme von Schilddrüsenhormonen sowie auf den Verzehr jodhaltiger Speisen verzichten, damit das evtl. noch vorhandene Schilddrüsenrestgewebe ganz begierig darauf wird, Jod (in diesem Fall das Restgewebe zerstörende Radiojod) aufzunehmen. Schon bald nach der Operation machten mir die fehlenden Hormone und die daraus resultierende Unterfunktion jedoch zunehmend zu schaffen. Mein Immunsystem war total geschwächt, die Haare gingen mir aus und ich wurde extrem launisch, antriebslos und abends sehr früh müde. Irgendwann hatte mein Endokrinologe ein Einsehen und verschrieb mir Thybon zur Überbrückung der Schilddrüsenhormon-Mangelphase im Rahmen der Vorbereitung zur Radiojodtherapie. Damit geht es mir inzwischen zwar etwas besser, aber ich habe Herzstolpern und ständig Heißhunger. Aus ärztlicher Sicht ist dies wohl kein Grund zur Besorgnis, sondern etwas, das durchlitten werden will. Leider sieht der Arzt nur die körperlichen Aspekte ("Die meisten Patienten nehmen in dieser Phase zu, aber mit ein bisschen Sport und gesunder Ernährung haben Sie die Pfunde ganz schnell wieder runter, wenn Sie hormonell erst einmal richtig eingestellt sind. Sie wissen ja, wie man abnimmt."). Er kann sich wahrscheinlich nicht vorstellen, was der Heißhunger psychisch in einer Ess-Süchtigen (und genau das bin ich leider immer noch) auszulösen vermag.

      Zu den psychischen Aspekten:

      Eine Selbsthilfegruppe besuche ich bereits und erhalte dort auch jede Menge Unterstützung (an dieser Stelle einen ganz besonderen Dank an Dich, liebe Simone). Seit einigen Tagen bin ich mir jedoch zunehmend sicher, dass das allein nicht mehr ausreicht. Deshalb habe ich gestern diesen Thread eröffnet (auch wenn ich eigentlich nicht gerne mit meinen Problemen hausieren gehe, sondern diese lieber mit mir selbst verhandele): Um schwarz auf weiß niedergeschrieben sehen und somit nicht länger leugnen zu können, dass derzeit nicht bloß körperlich, sondern auch psychisch etwas nicht mit mir in Ordnung ist. Ich musste mich selbst davon überzeugen, dass ich Hilfe brauche und dass auch andere das so sehen. Schließlich habe ich mich dazu durchringen können, mich gestern Abend bei Dick & Dünn e.V., einem Beratungszentrum für Ess-Störungen, beraten zu lassen und bin inzwischen erleichtert, dort ab August eine Therapie beginnen zu können.

      Liebe Grüße
      Lenchen
    • Liebes Lenchen,
      echt total mutig!!!! Wünsche alles, alles Gute für Therapie und bis dahin hälst Du durch und machst keinen "Quatsch" - lg wanda.
      LG wanda
      Op 03/11 - Größe 174 cm - Maximalgewicht 143 kg - Abnahme über 14 Monate ziemlich konstant.
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