An Diabetes erkrankt und berufstätig

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    • An Diabetes erkrankt und berufstätig

      An Diabetes erkrankt und berufstätig - Ab wann ist die Tätigkeit zu riskant?

      Darf ein Kranführer weiterarbeiten, wenn er an Diabetes erkrankt?
      © Horst Rudel / Imago

      Diabetiker dürfen bei ihrer Berufswahl nicht benachteiligt werden. Je nach Krankheitsstadium/Medikation und Risiken am Arbeitsplatz (z. B. mögliche Selbstgefährdung oder Gefährdung anderer) kann es jedoch Einschränkungen geben. Anhand einer Checkliste, in der auch Kompensationsmöglichkeiten berücksichtigt werden, können Sie individuell für jeden Diabetiker abschätzen, ob er auch in einem risikoreichen Beruf tätig sein darf.

      Die Amerikanische Diabetes Gesellschaft hat bereits 1984 in ihrer Leitlinie zu dem Thema „Diabetes und Beschäftigung“ ausgeführt: „Jede Person mit Diabetes mellitus, ob mit Insulin behandelt oder nicht, sollte für jede Beschäftigung in Frage kommen, für die er/sie sonst qualifiziert ist“ [1].

      Kritisch wird es immer dann, wenn die Rechtslage, auf der Entscheidungen getroffen werden müssten, nicht bekannt ist. Dann kann es zu Fehlbeurteilungen oder Fehlberatungen kommen, die immer noch häufig zur Diskriminierung von Diabetikern führen. Eine pauschale Beurteilung der Arbeitsfähigkeit von Personen nach Diagnoselisten entspricht nicht mehr den gesetzlichen Anforderungen und ist demnach unzulässig [2].

      Die Leistungsfähigkeit von Diabetikern ist also in der Regel nicht eingeschränkt. Nur wenige Tätigkeiten, bei denen sich die Betroffenen selbst oder Andere in besonderem Maße gefährden, können von Diabetikern, z. B. aufgrund einer Insulintherapie, vorübergehend oder auf Dauer nicht ausgeübt werden.

      Was sagt das Arbeitsschutzgesetz?

      Nach § 5 Arbeitsschutzgesetz gilt, dass zur personenbezogenen Beurteilung der Arbeitsfähigkeit eine individuelle Bewertung der persönlichen körperlichen, psychischen und geistigen Fähigkeiten und Kompensationsmöglichkeiten sowie der konkreten Arbeitsplatzbedingungen erforderlich ist.

      Faktoren, die zusammen mit der jeweils aktuellen Medikation (Insulin und insulinotrope Substanzen wie z. B. Sulfonylharnstoffpräparate) auf die Leistungsfähigkeit einwirken, sind insbesondere:

      Tabletten- und Insulinwirkung
      Ernährung
      Körperliche Aktivitäten
      Alkoholkonsum
      Gewichtsabnahme ohne entsprechende Therapieanpassung
      Fehlerhafte Ergebnisse der Stoffwechselselbstkontrolle.

      Mehr Möglichkeiten dank moderner Diabetestherapie


      Die moderne Diabetestherapie hat die Möglichkeiten der individuellen beruflichen Rehabilitation in den letzten Jahren erheblich verbessert. Dies betrifft sowohl die Anpassung der Therapie an die jeweiligen Bedingungen des Arbeitsplatzes durch Schulung und praktisches Training, Stoffwechselmonitoring und Selbstadaptation der Therapie als auch die gesundheitliche Prognose. Allein aus der Diagnose „Diabetes mellitus“ ist es daher unzulässig, auf eine Nichteignung zu schließen.

      Mögliche Funktionsdefizite überprüfen

      Im Einzelfall müssen daher Funktionsdefizite überprüft werden, z. B.
      des Bewusstseins und weiterer zerebraler Funktionen,
      der Persönlichkeit,
      der Beweglichkeit und Kraft,
      der Sinnesorgane,
      der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit und
      auf akute und chronische Schmerzen.

      Funktionseinschränkungen können sich bei Diabetes mellitus vor allem aufgrund akuter Komplikationen oder Folgeerkrankungen ergeben. Daneben besteht auch ein erhöhtes Risiko für Begleiterkrankungen, die eine gesonderte Bewertung verlangen.

      Als Akutkomplikationen sind insbesondere schwere Hypoglykämien und hyperglykämische Entgleisungen, als diabetische Folgeerkrankungen die diabetische Retinopathie, Nephropathie, Polyneuropathie, sowie die Makroangiopathie in ihren Manifestationen am Herz, Gehirn und an den peripheren Gefäßen zu nennen.

      Bestehen berufliche Einschränkungen?

      Um die Umstände, die die Wahl und die Ausübung eines Berufes oder einer Tätigkeit bei Diabetikern beeinflussen können, zu analysieren, müssen zunächst die Arbeitsbedingungen (sog. Gefährdungsbeurteilung nach § 5 Arbeitsschutzgesetz) beurteilt werden. Sie gliedern sich in:

      Krankheitsspezifische Risiken, z. B.

      Selbst- und Fremdgefährdung durch schwere rezidivierende Hypoglykämien,
      Auftreten anderer Krankheiten als Folge des Diabetes (Mikro- und Makroangiopathie) oder als Begleiterkrankung (z. B. Schlafapnoe-Syndrom).

      Tätigkeitsspezifische Risiken, z. B.:

      Beeinträchtigungen der Planbarkeit des Tagesablaufes und der Selbststeuerung des Stoffwechsels (z. B. just-in-time-Belastung),
      Berufliche Expositionen, die das Auftreten von akuten oder chronischen Folgen des Diabetes begünstigen (z. B. Taucherarbeiten).

      Hauptrisikofaktor: Hypoglykämien

      Für Diabetiker sind Hypoglykämien das Hauptrisiko in Bezug auf Arbeitsfähigkeit und Unfallgefährdung. Die Bewertung der Relevanz von Hypoglykämien in Bezug auf das arbeitsassoziierte Risiko ist jedoch sehr uneinheitlich. In der Regel wird das Risiko von Diabetologen und auch Arbeitsmedizinern pauschal zu hoch eingeschätzt. Schwere Hypoglykämien sind im beruflichen Alltag eher selten.

      Angaben zur Häufigkeit von Hypoglykämien sind in der internationalen Literatur sehr unterschiedlich. Dies liegt an uneinheitlichen Definitionen bzw. an der unscharfen Abgrenzung zwischen leichter und schwerer Hypoglykämie in den Studien.

      Das Auftreten von Hypoglykämien kann aber bei manchen beruflichen Tätigkeiten andere Menschen oder den Diabetiker selbst gefährden. Schwere Hypoglykämien bedeuten im Einzelfall eine Gefahr bei:

      Überwachungsfunktionen mit besonderer Verantwortung für das Leben Anderer (z. B. Operateur, Krankenschwester, Kranführer)
      Arbeiten an gefährlichen Arbeitsplätzen (z. B. Kampfpilot, Berufstaucher oder Feuerwehrmann im Angriffstrupp).

      Es gibt zahlreiche insulinbehandelte Diabetiker, bei denen auch nach langer Diabetesdauer keine mittelschweren oder gar schweren Unterzuckerungen auftreten [4]. In der Regel ist ein kleiner Teil der Diabetiker für einen großen Teil der therapiebedürftigen Hypoglykämien verantwortlich. Um das arbeitsplatzbezogene Risiko für Diabetiker zu beurteilen, müssen vorrangig diese Hochrisikopersonen identifiziert werden.

      Das Risiko für schwere Hypoglykämien kann durch Anpassung der Stoffwechseleinstellung und evtl. durch ein Hypoglykämiewahrnehmungs-Training (z. B. BGAT® oder HyPOS®) vermindert werden [5, 6]. Es muss aber auch darauf geachtet werden, dass die leitlinienkonformen Therapieziele (HbA1c < 7% oder niedriger) zur Vermeidung von Folgeerkrankungen nicht als Indikatoren für Arbeits- oder Fahreignung geeignet sind. Sie können mit einem erhöhten Hypoglykämierisiko und damit auch einer Eigen- und Fremdgefährdung einhergehen. Die Aufklärungspflicht darüber obliegt dem behandelnden Arzt.

      Mögliche arbeitsplatzbezogene Einschränkungen

      Berufe und Tätigkeiten, bei deren Ausübung der Tagesablauf nicht ausreichend vorausplanbar ist, können eine adäquate Behandlung erschweren — etwa durch sehr unregelmäßige Essenszeiten, stark wechselnde körperliche Belastungen oder auch durch eine erschwerte Stoffwechselselbstkontrolle.

      Das Risiko für Hypoglykämien ist bei Berufen größer, deren Arbeitsbedingungen eine Nahrungsaufnahme zu jeder Zeit, z. B. bei Hitzearbeiten durch die vorgeschriebene Schutzkleidung, verhindern. Dazu zählen auch Arbeiten unter großem Zeitdruck wie z. B. bei Rettungseinsätzen oder bei Paketdienstauslieferungsfahrern. Arbeiten mit Wechselschicht stellen für Diabetiker eine besondere Anforderung dar. Für diese Berufe und Tätigkeiten gilt im besonderen Maße, dass eine adäquate Schulung des Patienten über seine Erkrankung und die Behandlung mit täglichen Stoffwechselselbstkontrollen und daraus abgeleiteten Konsequenzen manche der einschränkenden Bedingungen abmildern oder bedeutungslos machen können.

      Bei Berufen, bei denen man besonderen Klimabedingungen (Hitze- oder Kältearbeitsplatz) und Überdruck (Arbeiten im Überdruck) ausgesetzt ist oder bei denen es zu anderen besonderen Belastungen kommt, können gesundheitliche Bedenken bestehen. Im Einzelfall können diese gegen die Aufnahme einer solchen Tätigkeit sprechen oder entsprechend der Beurteilung der Gefährdungen am Arbeitsplatz bei Diabetikern zusätzliche Schutzmaßnahmen erforderlich machen [7].

      Hilfreiche Checkliste

      Um die Eignung eines Diabetikers in einem Beruf, bei dessen Ausübung realistisch eine Selbst- und/oder eine Fremdgefährdung eintreten kann, verantwortbar zu beurteilen, ist die Checkliste (s. Kasten S.49) hilfreich [8]. Die genannten Vorbedingungen gelten für alle medikamentös behandelten Diabetiker, bei denen es durch die medikamentöse Therapie zu einer Hypoglykämie kommen kann. Es werden keine metabolischen Sollwerte, sondern Zielwerte genannt, für die medizinische und soziale Funktionen abgefragt werden. Die individuellen Zielwerte sind von den Gesprächspartnern gemeinsam zu vereinbaren.
      Checkliste

      Was beachten, wenn Ihr Diabetiker in einem risikoreichen Beruf tätig ist?

      Who is who? Nachweisbare Zusammenarbeit von Patient, Hausarzt/Diabetologen und Betriebsarzt.In der Regel kennt der Hausarzt den Betriebsarzt nicht, der Betriebsarzt den Diabetologen nicht, der Diabetiker oft auch seinen zuständigen Betriebsarzt nicht usw. Jeder fällt für sich irgendwelche Entscheidungen, die nachher meist der Diabetiker ausbaden muss.

      Gute Stoffwechseleinstellung (Blutglukose und HbA1c)?
      Entsprechend den vereinbarten Zielwerten (Diabetologe/Diabetespass)
      Ggf. Sonderuntersuchung Ergometrie + kontinuierliche Glukosemessung (in besonderen Fällen)
      Blutglukose-Selbstmessung und Dokumentation?Plausible Messprotokolle im Blutglukosetagebuch
      Kann am Arbeitsplatz Blutglukose gemessen und Insulin gespritzt werden?

      Arbeitet der Patient bei der Behandlung gut und zuverlässig mit?
      Belastungsadaptiertes Therapiekonzept
      Besteht eine angemessene Selbstbehandlungskompetenz?

      Hat der Patient eine geeignete Schulung besucht?
      Schulung gemäß DDG-Leitlinien
      Evtl. Hypoglykämiewahrnehmungs-Training (BGAT® oder HyPOS®)

      Bestätigen die beteiligten Ärzte, dass keine relevanten Folgeschäden vorliegen und es bislang zu keinen schweren Unterzuckerungen gekommen ist?

      Stellungnahme Facharzt (Diabetologe/Internist, Augenarzt, Neurologe):
      Diabetesdauer
      Dauer und Art der Behandlung
      Qualität der Einstellungen
      Folgeerkrankungen (Status und Prognose)
      Ab zehn Jahre Diabetesdauer: Untersuchung auf autonome Neuropathie, Herzfrequenzvariabilität
      Wissen Arbeitgeber und Kollegen im Notfall, was zu tun ist?Das soll natürlich keine Verpflichtung zur Information des Arbeitgebers oder der Kollegen über Diagnose und Gesundheitszustand sein. Sind aber die Kollegen oder der Arbeitgeber informiert und unterstützen sie den Mitarbeiter, können bei einem Problem wichtige Kompensationsmechanismen greifen. Insgesamt kommt es dadurch zu einer deutlichen Risikoreduktion, sodass die Arbeitsfähigkeit (work ability) eher gegeben ist. Diese ist nur z. T. durch körperliche Eigenschaften bedingt [9].

      Besteht bei leichten Unterzuckerungen eine Gefahr für Dritte?

      Dauer der Berufstätigkeit
      Berufserfahrung
      Konkretisierung des beruflichen Einsatzes (Differenzierung!)
      Ggf. Arbeitsplatztraining mit Awareness-Protokoll
      Kann die Arbeit unterbrochen werden, falls die Therapie angepasst werden muss, z. B. bei Unterzuckerung?
      Wird der Patient alle sechs bis zwölf Monate von einem Arbeitsmediziner und Diabetologen untersucht und beraten?
      Wird das Unternehmen sorgfältig mit arbeitsmedizinischen Informationen durch den Betriebsarzt versorgt?

      Anmerkungen

      Diese Liste soll der Orientierung dienen und ist nicht endgültig. Im begründeten Einzelfall kann auf einzelne Aspekte ggf. später eingegangen werden. Begründete individuelle Abweichungen oder Ergänzungen werden erforderlich sein. Begriffe wie z. B. „gute Stoffwechseleinstellung“ sind durch die Beteiligten in Anlehnung an aktuelle Behandlungsleitlinien individuell zu definieren.


      Fazit für die Praxis

      Wahl und Ausübung eines Berufs oder einer Tätigkeit können für einzelne Diabetiker durch arbeitsbedingte Risiken und/oder diabetesassoziierte Belastungen eingeschränkt sein. Deshalb sind wenige Tätigkeiten für sie nicht oder weniger gut geeignet.

      Eine individuelle Analyse und Bewertung der tätigkeits- und krankheitsbedingten Risiken ist notwendig, um Benachteiligungen von Menschen mit Diabetes mellitus zu verhindern.

      Zeitschrift: MMW - Fortschritte der Medizin 2013/11
      publiziert am: 1.9.2013 7:00 Autor: Dr. med. Kurt Rinnert (Köln)
      Quelle: MMW - Fortschritte der Medizin 2013; 155 (11): 48-50