Ausgebrannt und schmerzgeplagt

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    • Ausgebrannt und schmerzgeplagt

      Stress im Beruf ist der wichtigste Prädiktor für chronische Rückenschmerzen.
      Immer mehr Menschen leiden unter einem Burnout. Was für die einen nur eine Modediagnose ist, sehen andere als Indiz für steigende Anforderungen in der Arbeitswelt. Fest steht: Das Burnout-Syndrom kann die psychische und körperliche Gesundheit der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Insbesondere Schmerzleiden bilden mit dem Burnout ein fatales Gespann.

      Das Burnout-Syndrom erfährt in den letzten Jahren zunehmende Aufmerksamkeit und scheint durch zahlreiche prominente Beispiele salonfähig geworden zu sein. Dabei wird seine Bedeutung kontrovers diskutiert. Von den einen als Modediagnose oder Depression der Erfolgreichen abgetan, wird es von anderen als ernst zu nehmender Hinweis auf die gesundheitlichen Auswirkungen der allgemein erhöhten Anforderungen in der Arbeitswelt gesehen.

      Nach einer Repräsentativerhebung aus dem Jahr 2011 wurde in Deutschland bei 1,9 Millionen Menschen ab 14 Jahren von einem Arzt ein Burnout-Syndrom diagnostiziert [1], und die Tendenz der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund von Burnout steigt laut Statistik verschiedener Krankenkassen (AOK, TK, BKK, DAK) stark an.
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      Dabei hat offensichtlich ein Bedeutungswandel stattgefunden. Betraf in den 1970er-Jahren Burnout vor allem Idealisten, die an ihren überhöhten altruistischen Ansprüchen gescheitert waren (zumeist in helfenden Berufen), scheinen heute v. a. eskalierende Ansprüche von außen mit intensivem Konkurrenzdruck eine Rolle zu spielen und nahezu alle Berufe mit einzubeziehen [2].

      Andreas Hillert und Michael Marwitz [3] bringen den Einfluss der veränderten Arbeitsplatzfaktoren für das Individuum auf die Formel: Leistungssteigerung x Flexibilität — Sicherheit = Burnout.

      Definition und Diagnostik

      Im ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (Version 2013) ist das Burnout-Syndrom nicht als eigenständige Krankheit anerkannt, sondern wird unter „Problemen verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ mit der Ziffer Z 73.0 „Ausgebranntsein: Burn-out — Zustand der totalen Erschöpfung“ eingeordnet. Kennzeichnend ist eine Trias von Symptomen:

      Emotionale Erschöpfung, verbunden mit Reizbarkeit, Anspannung und Antriebsschwäche („Ich fühle mich von meiner Arbeit völlig ausgelaugt, sie macht einfach keinen Spaß mehr.“)

      Depersonalisierung verbunden mit Gleichgültigkeit, Zynismus, Distanz („Bei manchen Klienten oder Kunden interessiert es mich nicht wirklich, was aus ihnen wird.“)

      Eingeschränkte Leistungsfähigkeit und Erleben von Misserfolg, verbunden mit Sinnentleerung, Unwirksamkeit und Hyperaktivität („Ich habe immer seltener das Gefühl, dass ich etwas Wesentliches bewirke.“).

      Messinstrumente

      Das am häufigsten verwendete Messinstrument, das Maslach-Burnout-Inventory (MBI, deutsche Übersetzung von André Büssing und Klaus-M. Perrar [4]), erfasst anhand einer Selbstbeurteilungsskala mit 25 Items das subjektive Ausmaß der Beschwerden. Allerdings existieren keine wissenschaftlich gesicherten Cut-off-Werte zur diagnostischen Abgrenzung eines leichten, mittelschweren oder schweren Burnouts, und es kann auch keine Vorhersage eines drohenden Burnouts getroffen werden.

      Dagegen hat sich der Fragebogen zum arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM, [5]) zur Beschreibung der Risikofaktoren und als Vorhersageinstrument als geeignet erwiesen. Der Fragebogen erfasst die Bereiche des beruflichen Engagements, der erlebten Widerstandskraft gegenüber den beruflichen Belastungen und die Emotionen, welche die Berufsausübung begleiten.

      Ätiologie und Verlauf

      Die Entwicklung und der Verlauf des Burnout-Syndroms sind in einer Reihe verschiedener Phasenmodelle dargestellt worden, die alle einen ähnlichen Ablauf beschreiben. Das 12-Phasen-Modell von Freudenberger [6], auf den der Begriff Burnout zurückgeht, beschreibt das Burnout-Syndrom als Prozess mit dem Endstadium einer ausgeprägten Depression (Abb. 1).

      Abb. 1 Das 12-Phasen-Modell des Burnouts (nach Freudenberger)

      Theoretische Modelle

      Das Anforderungs-Kontroll-Modell von Robert Karasek und Tøres Theorell [7] sieht vor allem die Kombination von zwei Arbeitsplatzmerkmalen als Risikofaktoren und Ursache des Burnout-Syndroms: 1. Permanent hohe Anforderungen (Arbeitsverdichtung) und 2. Einschränkungen von Kontrolle und Entscheidungsspielraum bei der Ausführung der Aufgaben. Danach sind weniger leitende Manager als vielmehr Menschen in Berufen mit geringer Erfahrung von Selbstwirksamkeit gefährdet (z. B. Kassiererinnen, Angestellte in Callcentern).

      Ein alternatives Modell (ERI — effort-reward imbalance model) von Johannes Siegrist [8] fokussiert auf das Ungleichgewicht zwischen Anforderungen („Ich habe permanenten Zeitdruck“, „Ich werde bei der Arbeit oft gestört“) und Gratifikationen („Ich werde von meinen Vorgesetzten nicht mit dem nötigen Respekt behandelt“, „Bei Schwierigkeiten bekomme ich keine adäquate Unterstützung“).

      Abgrenzung zur Depression

      Einige Symptome überschneiden sich mit denen der Depression (z. B. depressive Verstimmung, Antriebsminderung und Müdigkeit, Verlust von Freude und Interessen), dagegen sind andere, wie ein verringertes Selbstwertgefühl, übertriebene Selbstvorwürfe und Schuldgefühle nicht unbedingt burnouttypisch. Bei der Depression steht als Grundaffekt die Traurigkeit im Vordergrund, beim Burnout-Syndrom eher die Unzufriedenheit.

      Mit zunehmender Beeinträchtigung überlappen sich Burnout-Syndrom und Depression jedoch immer mehr. Manche Forscher sehen Burnout als Risikofaktor und mögliche Vorstufe für die Entwicklung einer Depression an.

      Einen Vorschlag für die Einordnung des Burnout-Syndroms, vor allem auch in Abgrenzung zu vegetativen Stressreaktionen und Erschöpfung einerseits sowie Depression und Angsterkrankungen andererseits, bietet das Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) vom 7.3.2012 (als Download verfügbar über dgppn.de; vgl. Abb. 2). Danach können sich durch ein Burnout-Syndrom psychische und somatische Folgeerkrankungen ergeben. Diese können jedoch auch umgekehrt aufgrund der damit verbundenen Leistungseinschränkungen ein Burnout begünstigen.

      Abb. 2 Burnout-Konzept der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN).

      Burnout und Schmerz

      So beeinflussen sich auch chronische Schmerzen und Burnout wechselseitig. Einerseits ist der Einfluss von Arbeitsplatzfaktoren auf die Entwicklung chronischer Schmerzen lange bekannt. In vielen Untersuchungen erweist sich dabei das Ausmaß der beruflichen Stressbelastung als der wichtigste, manchmal sogar einzige Prädiktor für die Entwicklung chronischer Rückenschmerzen, wobei der Zusammenhang umso stärker ist, je geringer der Ausbildungsstand und der persönliche Entscheidungsspielraum der Betroffenen ist [9]. Ebenfalls gut belegt sind die negativen Einflüsse von geringer sozialer Unterstützung am Arbeitsplatz sowie einer allgemein hohen Arbeitsunzufriedenheit [10].

      Umgekehrt stellen die schmerzbedingten Beeinträchtigungen einen wesentlichen Risikofaktor für ein mögliches Burnout-Syndrom dar. Die Patienten sind den Anforderungen nur noch eingeschränkt gewachsen, versuchen jedoch ihre Arbeitsleistung möglichst lange aufrechtzuerhalten, auch aus Angst um den Arbeitsplatz, Konkurrenzdruck oder Druck vom Arbeitgeber. Dafür werden oft positive Aktivitäten in der Freizeit aufgegeben, womit wiederum wichtige Ressourcen wegfallen, die einem Burnout entgegenwirken könnten.

      Prävention und Therapie

      Die Auswahl von Präventions- und Therapiemaßnahmen ist in hohem Maße abhängig von der Schwere des Burnout-Syndroms. In leichten Fällen kann es genügen, wenn Patienten wieder vermehrt Entspannungs- und Erholungsphasen in ihren Alltag einbauen und soziale Kontakte reaktivieren. Meist sind allerdings längerfristige Veränderungen notwendig, indem eigene Ansprüche überprüft und verändert werden. Achtsamkeitsbasierte Verfahren wie z. B. Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) können hier hilfreich sein.

      Da Burnout jedoch vor allem ein Problem der Arbeitswelt darstellt, wäre es verfehlt, dem Betroffenen die alleinige Verantwortung für seine Lösung zu übertragen. Eine Analyse und Entlastung von Stressoren sowie Veränderungen der Arbeitsbedingungen sind meist notwendig, was oft auch den Kontakt mit Arbeitgeber und Betriebsärzten voraussetzt.

      In schweren Fällen und bei Vorliegen von Folgeerkrankungen wie z. B. einer Depression besteht die Indikation für eine ambulante oder stationäre Psychotherapie bzw. Rehabilitationsmaßnahme. Vor allem die kognitive Verhaltenstherapie hat sich hier als wirksam erwiesen [1].

      Fazit für die Praxis

      Dr. Joachim Korb

      Die Bedeutung des Burnout-Syndroms hat sich verändert. Es betrifft keineswegs nur noch Personen in helfenden Berufen oder mit ursprünglich überhöhten Leistungsansprüchen.

      Es treten immer mehr situative Faktoren durch ständig höhere Anforderungen der Arbeitswelt in den Vordergrund. Gefährdet scheinen verstärkt Personen mit geringem eigenem Entscheidungsspielraum.

      Burnout ist nicht gleichzusetzen mit Depression, kann aber einen wesentlichen Risikofaktor für die Entwicklung einer Depression darstellen. Burnout und hohe Stressbelastung sind wesentliche Prädiktoren für die Entwicklung von chronischen Schmerzen.

      Chronische Schmerzen sind verbunden mit Einschränkungen von ausgleichenden Ressourcen und einer erhöhten Stressanfälligkeit und stellen so ein erhöhtes Burnout-Risiko dar.

      Nur in leichten Fällen können Maßnahmen von Entspannung und Erholung ausreichen. Mit zunehmender Schwere müssen auch Veränderungen der Arbeitsbedingungen sowie ambulante oder stationäre psychotherapeutische Maßnahmen eingeleitet werden.

      Quelle: Angewandte Schmerztherapie und Palliativmedizin 2014/1