Binge Eating besiegt?

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    • Binge Eating besiegt?

      Hallo zusammen,

      habe den Bereich im Forum irgendwie gerade erst entdeckt.
      Ich wollte mal fragen, ob es hier noch mehr Leute gibt, die die Diagnose Binge Eating haben und die Essstörung vielleicht sogar besiegt haben.

      Ich leide (und ja ich leide wirklich darunter) seit ich ca. 17 Jahre alt war darunter, zumindest kann ich mich da bewusst an meine ersten Fressanfälle erinnern. Jetzt bin ich fast 32. Zwischendurch habe ich es immer wieder in den Griff bekommen, durchaus auch mal für ein paar Jahre, aber immer wieder wurde ich rückfällig, mal für ein paar Wochen, mal für Monate. Dabei kamen immer wieder starke Gewichtsschwankungen von 5 bis 45kg hoch und wieder runter zustande.
      Ich war auch mal lange abhängig von Abführmitteln (weil ich mich - heute sage ich zum Glück - nicht übergeben kann und ich hab so ziemlich alles versucht).
      Das Binge Eating ist bei mir Symptom einer emotional instabilen Persönlichkeit, die ich aber mit harter Arbeit und Therapie super in den Griff bekommen habe. Nur das mit dem Essen bekomme ich nicht hin, jedenfalls nicht dauerhaft. Im letzten Jahr habe ich innerhalb von 6 Monaten fast 40kg zugenommen, weil ich nur noch gefressen habe, was auch wahnsinnig viel Geld gekostet hat, mal nebenbei bemerkt. Weil ich nicht geschafft habe, da wieder allein raus zu kommen, habe ich mir ja letzten Montag den Magenballon einsetzen lassen. Ich hätte zu viel Angst vor dem Schlauchmagen wegen meiner Fressanfälle und ich wollte es auch einfach erstmal ohne Operation versuchen.
      Gibt es hier vielleicht Menschen, die es erfolgreich besiegt haben, die vielleicht auch hilfreiche Tipps parat haben? Ernährungstagebuch u.ä. funktioniert bei mir auch nicht, hat selbst meine Therapeutin schon gesagt. Ich wünschte, ich hätte ein halbwegs normales Verhältnis zu essen, entweder ich kontrolliere extrem, jede Kalorie wird aufgeschrieben und gezählt oder ich verliere komplett die Kontrolle...
      Mal schauen, ob der Ballon mir zumindest körperlich helfen kann, auch den Kopf in den Griff zu kriegen.

      Lieben Dank :)
    • Ich muss mal nachfragen: Wie genau definiert sich Binge Eating? Viele von na Adipösen, mich eingeschlossen, bezeichnen sich ja als Volumen Esser und ich bin mir nicht sicher, wie ich das gegen Binge Eating abgrenze.
      Wenn jemand zB abends 1 Pizza, 1 Lasagne und hinterher vorm Fernseher noch 1 Tafel Schokolade ißt, ist das dann Volumen Esser oder Binge Eater?
    • Also, bei mir wurde es zumindest diagnostiziert. Ich verliere komplett die Kontrolle, habe extreme Fressanfälle, wo ich mal eben locker 10000kcal in mich rein stopfe, so lange, bis es körperlich weh tut. Also quasi wie ein Bulimiker, nur ohne hinterher zu erbrechen. Ich hab da gar kein normales Sättigungsgefühl mehr, ich schlinge auch regelrecht und hinterher geht es mir psychisch immer sehr schlecht, weil ich schon wieder "schwach" geworden bin, nicht einfach aufhöre zu essen. Kommen ja dann von Außenstehenden immer diese Sprüche: Na, dann iss halt weniger. Hör doch einfach auf, usw. Das macht mich nur noch trauriger, wenn es doch so einfach ist, warum schaffe ich das dann nicht...
    • Ok, verstehe. Also noch mal 2 Stufen heftiger als beim Volumenesser. Das mit den klugen Ratschlägen kenne ich, auch dass es einem in keiner Beziehung weiterhilft. Wenn die Sucht übernimmt, helfen Verhaltensregeln halt einfach nicht.
    • Ja, vor allem zieht es - zumindest mich - noch mehr runter oder ich werde sauer. Hatte mal einen Partner, der sich immer damit gebrüstet hat, sich selbst von der Alkoholsucht befreit zu haben und mir dann immer Vorträge hielt, es sei nur eine Frage der Disziplin und ich müsse es ja nur wollen.
      Ich hab ihn dann mal gefragt, warum so viele süchtige Menschen eine Therapie machen müssen, wenn es doch so einfach ist... Könnte ich mich heute noch drüber aufregen.
    • Ich bin selbst Binge-eater, hatte aber die klassischen Anfälle nicht so extrem. Ich hatte vor meiner OP kognitive Verhaltenstherapie und hatte mein Essverhalten gut unter Kontrolle. Seit der OP neige ich eher zum grasen, weil ja größere Mengen auf einmal nicht mehr gehen.

      Da wir eine separate SHG-Gruppe zum Thema Essverhalten haben und bald eine 2. eröffnen, habe ich mir etwas Literatur besorgt.

      Die extreme Kontrolle einerseits und der völlige Kontrollverlust hängen oft eng zusammen. Bei der geringsten Überschreitung der eigenen Regeln bricht das gesamte Kontrollsystem zusammen und es kommt zu Anfällen. Dann schlägt das "jetzt ist auch scheiß egal"-Argument zu und dann wird alles nachgeholt, was man sich lange versagt hat und man findet kein Ende.
      Dagegen wird flexible Kontrolle empfohlen, ich selber nenne das "kontrolliertes Genießen". Man gönnt sich ab und an etwas und dann ist auch der Heißhunger nicht so groß. Was erlaubt ist, bringt nicht das ganze System ins wanken. Dieser komplette Kontrollverlust tritt dann zumindest nicht so häufig auf.

      Wir erarbeiten grad einige "Tricks" um unerwünschtes Verhalten abzutrainieren und erwünschtes Verhalten anzugewöhnen. Das kann aber Jahre dauern bis sowas wirklich greift.
      Wir arbeiten dran, Auslöser für unerwünschtes Verhalten zu identifizieren und abzuschaffen oder zumindest Hindernisse einzubauen. Auslöser für erwünschtes Verhalten werden gesucht und installiert und wir befassen uns mit Umbewertungen. Der blöde Spruch vom Kerl auf der Strasse führt dann nicht mehr durch Frust ins Essen sondern wir lachen über dessen Dummheit und müssen nicht futtern. Das ist jetzt mal das ABC-Modell etwas verkürzt dargestellt. Um C = die Konsequenz, das Handeln zu ändern, können wir an den Auslösern =A arbeiten und an B= den Bewertungen von A. Beispiel Bewegungsverhalten: Das lästige runterbringen des Mülls wird nicht zum Streßfaktor, weil man sich aufregt, dass der Sohn das nicht erledigt hat. Es wird zur Chance, die Zahl der Schritte auf dem Schrittzähler zu erhöhen. Es gibt keinen Strass durch Ärger, der Müll ist weg, man hat mehr Schritte/Etagen auf der App und man fühlt sich klasse und muss nicht futtern. Und der Sohn freut sich auch und hat vielleicht sogar noch ein Wort der Anerkennung übrig. ;)

      Ich denke, wir sind unser Leben lang in Gefahr, rückfällig zu werden. Es ist eben eine Art Suchterkrankung. Auch ein Alkoholiker muss jeden Tag aufs Neue kämpfen, nicht zu trinken. Bei uns ist es noch schwerer, weil wir unser Suchtmittel nicht vermeiden können. Viele bekommen zwar vielleicht dank der OP die Freßattacken unter Kontrolle aber dann besteht die Gefahr der Suchtverlagerung. Alkohol, Spielsucht, Kaufsucht sind bekannte "Ersatz-Süchte". Sportsucht ist da wohl noch die harmloseste Variante.

      Ich bin überzeugt, wir müssen immer am Ball bleiben und sollten uns vielleicht auch nie in Sicherheit wiegen. Man kann das irgendwann entspannter angehen, auch Rückschläge wegstecken, aber aus den Augen verlieren sollten wir das eher nicht. Auch nicht mit OP. Die verhindert zwar die Aufnahme großer Mengen auf einmal aber das wars dann auch schon. Es ist eine große Hilfe, ganz klar aber eben eine Hilfe und nicht die alleinige Lösung
      14.04.14 OP Gewicht 124,8 Kilo bei 1,65m 01.09.14 UHU 99,7 Kilo 15.12.14 U90 seit 01.05.15 nicht mehr adipös U85______inkl Corona Kilos jetzt 88/89 Kilo


      Jeden 2. Dienstag im Monat um 17h trifft sich die SHG im Martin-Luther-Krankenhaus Berlin. Zur Zeit nur online bei Facebook facebook.com/groups/1646631915475507
    • Ich habe auch 5 jahre lang eine ambulante Therapie gemacht, eine weitere Verlängerung habe ich nicht mehr bekommen. Auch da haben wir Auslöser, etc behandelt, bei vielem weiß ich das, zB nehme ich immer nur zu, wenn ich in einer Beziehung bin. Das hängt mit meiner emotional instabilen Persönlichkeit zusammen. Für mich war es früher fast unmöglich, eine dauerhafte und funktionierende Beziehung zu führen, das hat sich mittlerweile durch oben erwähnte harte Arbeit an mir selbst erledigt. Auch dieses Dinge aus einer anderen Sichtweise zu betrachten, das Positive, statt das Negative zu erkennen, kann ich mittlerweile sehr gut. Bei mir sind leider komplexere Dinge, die das Fressen auslösen, nicht einfach ein Streit oder dummer Spruch. Ich neige dazu, meine eigenen Bedürfnisse zurück zu stellen, bzw gar nicht mehr zu fühlen und wenn doch, sie dann auch zu äußern. Daran arbeite ich gerade noch. Vielleicht wird es damit besser.
      Ich suche schon länger nach einer SHG, aber ich wohne sehr ländlich, da ist es leider sehr schwierig.
      Übrigens, das Gefühl "jetzt ists auch scheiß egal" kenn ich zu gut...
      Danke für deine lange und ausführliche Antwort, vielleicht bin ich ja gar nicht mal auf dem falschen Weg und es braucht einfach noch seine Zeit.