Home Medizin aktuell Allgemeinmedizin AINS Chirurgie Dermatologie Gynäkologie HNO Innere Medizin Kardiologie Neurologie/Psychiatrie Onkologie Orthopädie/Unfallchirurgie Pädiatrie Radiologie Urologie Zahnmedizinexterner Link Praxis und Beruf Abrechnung aktuell Arbeitshilfen Arzneimittelvorschau Awards e.College | mit Partnern e.College | Bionorica Gesundheitspolitik IT für Ärzte Klinik aktuell Kongresskalender MMW-Sprechstunde Recht für Ärzte Mediathek Bilderstrecken Blickdiagnosen Videos CME Springer Medizin e.Akademie DGIM | e.Akademie CME mit Partnern Pfizer | Fortbildung Zeitschriften Allgemeinmedizin AINS Chirurgie Dermatologie Gynäkologie HNO Innere Medizin Kardiologie Neurologie/Psychiatrie Onkologie Orthopädie/Unfallchirurgie Pädiatrie Radiologie Urologie Zahnmedizin Weitere Fachbereiche Jobs Jobsuche Mein Job-Konto Für Arbeitgeber Über uns Abo e.Med Ärzte Zeitung digital Apps für Ihr Smartphone
SpringerMedizin Medizin aktuell Innere Medizin Medizin kompakt
Insulinentzug zur Selbstbestrafung?
Insulinentzug zur Selbstbestrafung? Junge Frau mit Diabetes
Die "Diabulimie" betrifft vor allem junge Frauen mit Typ-1-Diabetes.
Mit der Insulinspritze das Körpergewicht manipulieren: Dieser gefährliche Trend ist bei jungen Frauen mit Typ-1-Diabetes relativ verbreitet. US-Autoren zufolge spielen dabei möglicherweise Schuldgefühle im Zusammenhang mit Regelbrüchen bei den Mahlzeiten eine wesentliche Rolle.
Vor allem unter jüngeren Frauen mit Typ-1-Diabetes zeichnet sich in letzter Zeit ein besorgniserregender Trend ab: Die Insulinspritze wird als Instrument missbraucht, um das Körpergewicht zu regulieren. Indem man absichtlich unterdosiert oder Injektionen weglässt, bewirkt man eine Hyperglykämie, was zur Ausschwemmung von Glukose führt. Damit lassen sich mehr oder weniger gezielt Pfunde abschmelzen. Man geht derzeit davon aus, dass etwa jede dritte junge Frau (30–40%) mit Typ-1-Diabetes ein solches Risikoverhalten, auch "Diabulimie" genannt, an den Tag legt.
Was treibt die Frauen an?
Was die Frauen emotional antreibt und welche Rolle die Merkmale einer vorhandenen Essstörungen dabei spielen, hat eine neue US-Studie aus der Duke University in Durham untersucht. Die Forscher um Rhonda M. Merwin fanden dabei Erstaunliches. So ging ein momentanes Aufsteigen negativer Emotionen signifikant mit einer darauffolgenden Insulinrestriktion einher. Insbesondere wer sich vor dem Essen „nervös“ oder „schuldig“ oder „von sich selbst abgestoßen“ gefühlt hatte, neigte dazu, sich absichtlich weniger von dem Diabetesmedikament zu spritzen.
Teilgenommen hatten an der Studie 83 Patienten mit Typ-1-Diabetes, 88% davon weiblich. Die Probanden – sie waren im Mittel 42 Jahre alt – wurden für die dreitägige Testdauer an ein Gerät zur kontinuierlichen Blutzuckermessung (Continuous Glucose Monitoring, CGM) angeschlossen. Über eine speziell entwickelte Handy-Software sollten sie in regelmäßigen Abständen ihre momentane Gemütsverfassung auf einer 6-Punkt-Likert-Skala bewerten, jeden Snack und jede Mahlzeit melden und mitteilen, ob sie im Zusammenhang damit ihre Insulinration gekürzt hatten oder nicht.
455 Ess-Episoden ausgewertet
Insgesamt hatten die Forscher 455 Ess-Episoden erfasst und ausgewertet. Zu einer Insulinrestriktion kam es in 22% der Episoden. Die gemessenen Blutzuckerwerte reichten dabei insgesamt von 40 bis 400 mg/dl.
Zu 299 Episoden lagen Berichte zur Stimmungslage des Probanden innerhalb einer Stunde vor der Mahlzeit vor; dabei war in 70 Fällen weniger Insulin als erforderlich gespritzt worden. Ein negativer Affekt war den Forschern zufolge ein deutlicher Prädiktor für eine darauffolgende Insulinrestriktion, sowohl im Kollektiv (Odds Ratio, OR 6,77) als auch bei einem einzelnen Teilnehmer (OR 2,58). Ein Teilnehmer, bei dem der Affekt nur um einen Punkt über den Mittelwert des Kollektivs hinausging, hatte demnach eine 6,77-mal höhere Wahrscheinlichkeit, das Insulin zu kürzen. Und durch jeden Anstieg um einen Punkt wurde das Risiko einer Manipulation mehr als verdoppelt.
Schuldgefühle spielen eine wichtige Rolle
Der stärkste Zusammenhang im Kollektiv zeigte sich für überdurchschnittliche Werte von „Traurigkeit“ (OR 5,22), gefolgt von „Ärger“ (OR 3,94), „Frustration“ (OR 3,87) und „Schuldgefühle oder Abscheu vor sich selbst“ (OR 3,82). Dabei genügte oft schon ein leichtes Überschreiten der „Norm“ beim jeweiligen Affekt um ein entsprechendes Verhalten auszulösen. Beim Einzelnen dominierten die Effekte für „Ängstlichkeit oder Nervosität“ sowie für „Gefühle von Schuld oder Abscheu vor sich selbst“.
Vor allem wer bei einer Mahlzeit eine selbstaufgestellte Regel gebrochen hatte (z. B. „Ich darf kein Dessert essen!“), spritzte sich danach bewusst weniger (OR 7,76). Umgekehrt berichteten Teilnehmer, die häufig ihre Dosis nach unten korrigierten, nach dem Essen vermehrt über Gefühle von Abscheu vor sich selbst, haderten mit ihrer Erkrankung und wünschten den Diabetes weg. Dies war sogar unabhängig davon, ob sie bei der einzelnen Episode tatsächlich eine Insulinrestriktion vorgenommen hatten oder nicht.
In der Studie wiesen 58 Patienten eindeutige Merkmale einer Essstörung auf. Beschränkte man die Analyse auf diese Subgruppe, änderte sich am Ergebnis praktisch nichts. Im Mittel wurde hier bei 18,91% aller Mahlzeiten die Insulindosis gekürzt.
Betroffene von rigiden Vorstellungen abbringen
Der größte Handicap der Studie ist die Tatsache, dass alle Erkenntnisse auf subjektiven Angaben der Teilnehmer beruhen. Dennoch, so Merwin und ihr Team, komme man einem Therapieansatz bei diesem bemerkenswerten Phänomen zumindest näher. Möglicherweise könne man den Patienten helfen, aufkommende Emotionen in akuten Situationen zu bewältigen, noch bevor diese in ein potenziell schädliches Verhalten – die Insulinrestriktion – münden. Wichtig sei, die Betroffenen von ihrem oft rigiden, selbstbestrafenden Verhalten abzubringen. Entsprechende Maßnahmen wären im Hinblick auf die metabolische Kontrolle äußerst wichtig; schließlich bergen solche eigenmächtigen Eingriffe in das Diabetesmanagement erhebliche Gefahren, von der schweren Neuropathie über die Schädigung von Niere und Retina bis hin zum frühzeitigen Tod.
Quelle: springermedizin.de
SpringerMedizin Medizin aktuell Innere Medizin Medizin kompakt
Insulinentzug zur Selbstbestrafung?
Insulinentzug zur Selbstbestrafung? Junge Frau mit Diabetes
Die "Diabulimie" betrifft vor allem junge Frauen mit Typ-1-Diabetes.
Mit der Insulinspritze das Körpergewicht manipulieren: Dieser gefährliche Trend ist bei jungen Frauen mit Typ-1-Diabetes relativ verbreitet. US-Autoren zufolge spielen dabei möglicherweise Schuldgefühle im Zusammenhang mit Regelbrüchen bei den Mahlzeiten eine wesentliche Rolle.
Vor allem unter jüngeren Frauen mit Typ-1-Diabetes zeichnet sich in letzter Zeit ein besorgniserregender Trend ab: Die Insulinspritze wird als Instrument missbraucht, um das Körpergewicht zu regulieren. Indem man absichtlich unterdosiert oder Injektionen weglässt, bewirkt man eine Hyperglykämie, was zur Ausschwemmung von Glukose führt. Damit lassen sich mehr oder weniger gezielt Pfunde abschmelzen. Man geht derzeit davon aus, dass etwa jede dritte junge Frau (30–40%) mit Typ-1-Diabetes ein solches Risikoverhalten, auch "Diabulimie" genannt, an den Tag legt.
Was treibt die Frauen an?
Was die Frauen emotional antreibt und welche Rolle die Merkmale einer vorhandenen Essstörungen dabei spielen, hat eine neue US-Studie aus der Duke University in Durham untersucht. Die Forscher um Rhonda M. Merwin fanden dabei Erstaunliches. So ging ein momentanes Aufsteigen negativer Emotionen signifikant mit einer darauffolgenden Insulinrestriktion einher. Insbesondere wer sich vor dem Essen „nervös“ oder „schuldig“ oder „von sich selbst abgestoßen“ gefühlt hatte, neigte dazu, sich absichtlich weniger von dem Diabetesmedikament zu spritzen.
Teilgenommen hatten an der Studie 83 Patienten mit Typ-1-Diabetes, 88% davon weiblich. Die Probanden – sie waren im Mittel 42 Jahre alt – wurden für die dreitägige Testdauer an ein Gerät zur kontinuierlichen Blutzuckermessung (Continuous Glucose Monitoring, CGM) angeschlossen. Über eine speziell entwickelte Handy-Software sollten sie in regelmäßigen Abständen ihre momentane Gemütsverfassung auf einer 6-Punkt-Likert-Skala bewerten, jeden Snack und jede Mahlzeit melden und mitteilen, ob sie im Zusammenhang damit ihre Insulinration gekürzt hatten oder nicht.
455 Ess-Episoden ausgewertet
Insgesamt hatten die Forscher 455 Ess-Episoden erfasst und ausgewertet. Zu einer Insulinrestriktion kam es in 22% der Episoden. Die gemessenen Blutzuckerwerte reichten dabei insgesamt von 40 bis 400 mg/dl.
Zu 299 Episoden lagen Berichte zur Stimmungslage des Probanden innerhalb einer Stunde vor der Mahlzeit vor; dabei war in 70 Fällen weniger Insulin als erforderlich gespritzt worden. Ein negativer Affekt war den Forschern zufolge ein deutlicher Prädiktor für eine darauffolgende Insulinrestriktion, sowohl im Kollektiv (Odds Ratio, OR 6,77) als auch bei einem einzelnen Teilnehmer (OR 2,58). Ein Teilnehmer, bei dem der Affekt nur um einen Punkt über den Mittelwert des Kollektivs hinausging, hatte demnach eine 6,77-mal höhere Wahrscheinlichkeit, das Insulin zu kürzen. Und durch jeden Anstieg um einen Punkt wurde das Risiko einer Manipulation mehr als verdoppelt.
Schuldgefühle spielen eine wichtige Rolle
Der stärkste Zusammenhang im Kollektiv zeigte sich für überdurchschnittliche Werte von „Traurigkeit“ (OR 5,22), gefolgt von „Ärger“ (OR 3,94), „Frustration“ (OR 3,87) und „Schuldgefühle oder Abscheu vor sich selbst“ (OR 3,82). Dabei genügte oft schon ein leichtes Überschreiten der „Norm“ beim jeweiligen Affekt um ein entsprechendes Verhalten auszulösen. Beim Einzelnen dominierten die Effekte für „Ängstlichkeit oder Nervosität“ sowie für „Gefühle von Schuld oder Abscheu vor sich selbst“.
Vor allem wer bei einer Mahlzeit eine selbstaufgestellte Regel gebrochen hatte (z. B. „Ich darf kein Dessert essen!“), spritzte sich danach bewusst weniger (OR 7,76). Umgekehrt berichteten Teilnehmer, die häufig ihre Dosis nach unten korrigierten, nach dem Essen vermehrt über Gefühle von Abscheu vor sich selbst, haderten mit ihrer Erkrankung und wünschten den Diabetes weg. Dies war sogar unabhängig davon, ob sie bei der einzelnen Episode tatsächlich eine Insulinrestriktion vorgenommen hatten oder nicht.
In der Studie wiesen 58 Patienten eindeutige Merkmale einer Essstörung auf. Beschränkte man die Analyse auf diese Subgruppe, änderte sich am Ergebnis praktisch nichts. Im Mittel wurde hier bei 18,91% aller Mahlzeiten die Insulindosis gekürzt.
Betroffene von rigiden Vorstellungen abbringen
Der größte Handicap der Studie ist die Tatsache, dass alle Erkenntnisse auf subjektiven Angaben der Teilnehmer beruhen. Dennoch, so Merwin und ihr Team, komme man einem Therapieansatz bei diesem bemerkenswerten Phänomen zumindest näher. Möglicherweise könne man den Patienten helfen, aufkommende Emotionen in akuten Situationen zu bewältigen, noch bevor diese in ein potenziell schädliches Verhalten – die Insulinrestriktion – münden. Wichtig sei, die Betroffenen von ihrem oft rigiden, selbstbestrafenden Verhalten abzubringen. Entsprechende Maßnahmen wären im Hinblick auf die metabolische Kontrolle äußerst wichtig; schließlich bergen solche eigenmächtigen Eingriffe in das Diabetesmanagement erhebliche Gefahren, von der schweren Neuropathie über die Schädigung von Niere und Retina bis hin zum frühzeitigen Tod.
Quelle: springermedizin.de